
Risikostrukturausgleich
"Morbi-RSA" soll für gerechten Wettbewerb zwischen den Kassen sorgen
Durch den Risikostrukturausgleich werden Unterschiede in der Versichertenstruktur zwischen einzelnen Kassen ausgeglichen. Mit dem Gesundheitsfonds ist dieser Mechanismus weiterentwickelt worden. Kassen, deren Versicherte an behandlungsintensiven Krankheiten leiden, bekommen mehr Geld aus dem Fonds.
Hinter dem Wortungetüm "morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich" (auch: "Morbi-RSA") verbirgt sich ein wesentliches Element der Gesundheitsreform. Denn der Risikostrukturausgleich (RSA) soll den Wettbewerb zwischen gesetzlichen Krankenkassen gerechter machen. Schließlich haben manche Kassen vorwiegend junge, gesunde Mitglieder, die wenig kosten, und andere Kassen eher ältere und behandlungsintensivere Versicherte. 1994 wurde ein erster Risikostrukturausgleich eingeführt, um diese Unterschiede auszugleichen.
Mit Start des Gesundheitsfonds gilt der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich. Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort "morbidus" für "krank" ab und ist ein "epidemiologisches" Krankheitsmaß. Es gibt die Krankheitshäufigkeit bezogen auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe an. Für Versicherte, die zu einer dieser Risikogruppen gehören, erhält eine Kasse mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds. Basis der Berechnung sind Erfahrungswerte, die Kassen in der Vergangenheit mit der Behandlung einzelner Bevölkerungsgruppen und bestimmten Krankheiten gemacht haben.
Kritiker haben eine solche Reform schon lange angemahnt. Insbesondere Vertreter von Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) und einiger Ersatzkassen bezeichneten den früheren RSA als völlig unzureichend. Denn bei diesen Kassen sind viele Menschen versichert, die ein privates Unternehmen niemals aufnehmen würde: Mitglieder mit eher geringem Einkommen und eher hohem Krankheitsrisiko. So beschwerte sich der Vorstandsvorsitzende der AOK, Hans Jürgen Ahrens: "Heute ist eine Kasse durch Risikoselektion erfolgreicher als durch alle Bemühungen, Patienten wirtschaftlicher gut zu versorgen. Noch immer lohnt die so genannte "Jagd nach gesunden Versicherten".
Mit der Einbeziehung von Krankheitsrisiken in den RSA soll die tatsächliche Lastenverteilung zwischen den Kassen gerechter gestaltet werden. Sie ergänzt die Faktoren, die heute für den RSA zwischen den Kassen berücksichtigt werden. Dazu gehören:
- das Einkommen der Mitglieder (Grundlöhne)
- die Zahl der beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen
- das Geschlecht der Versicherten
- das Alter der Versicherten
- die Tatsache, ob eine Erwerbsminderungsrente bezogen wird.
Seit Einführung des Gesundheitsfonds erhält eine Kasse einen festen Betrag für jeden einzelnen Versicherten, die so genannten Grundpauschale, die sich auf rund 170 Euro im Monat beläuft. Je nach Krankheitsrisiko des Versicherten wird von diesem Wert nach oben oder nach unten abgewichen. Außerdem erhalten die Kassen auch Mittel für die Deckung durchschnittlicher Verwaltungsausgaben und durchschnittlicher Ausgaben für Satzungs- und Ermessensleistungen. Hierdurch wird die unterschiedliche Finanzkraft der Kassen zu 100 Prozent ausgeglichen. Wie viel die Versicherten einer Kasse tatsächlich verdienen, spielt mit der Einführung des Gesundheitsfonds keine Rolle mehr. Die Politik sieht darin einen Ausdruck der GKV als Solidargemeinschaft aller Versicherten.
Die berücksichtigten Krankenheiten
Das Bundesversicherungsamt hat gemäß § 31 Absatz 4 Satz 1 Risikostruktur-Ausgleichverordnung (RSAV) die nach § 31 Absatz 1 Satz 2 RSAV zu berücksichtigenden Krankheiten festgelegt:
- HIV/AIDS
- Sepsis/Schock
- Nicht virale Meningitis/Enzephalitis
- Infektionen durch opportunistische Erreger
- Bösartige Neubildungen der Lippe, der Mundhöhle und des Pharynx
- Bösartige Neubildungen der Verdauungsorgane
- Bösartige Neubildungen der Atmungsorgane und sonstiger intrathorakaler Organe
- Bösartige Neubildungen der Knochen, des Stütz- und Weichteilgewebes
- Bösartige Neubildungen der Brustdrüse
- Bösartige Neubildungen der weiblichen Genitalorgane
- Bösartige Neubildungen der männlichen Genitalorgane
- Bösartige Neubildungen der Niere, der Harnwege und der Nebenniere
- Bösartige Neubildungen des Auges, Gehirns und sonstiger Teile des Zentralnervensystems einschließlich Hypo- und Epiphyse
- Bösartiger Neubildungen sekundärer, nicht näher bezeichneter oder multipler Lokalisation
- Lymphome und Leukämien
- Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens
- Diabetes mellitus
- Schwerwiegende metabolische oder endokrine Störungen
- Leberzirrhose (inkl. Komplikationen)
- Chronische Hepatitis
- Akute schwere Lebererkrankung
- Ileus
- Chronisch entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn / Colitis ulcerosa)
- Erkrankungen des Ösophagus (exkl. Ulkus und Blutung)
- Entzündung / Nekrose von Knochen / Gelenken / Muskeln
- Rheumatoide Arthritis und entzündliche Bindegewebskrankheiten
- Spinalkanalstenose
- Osteoarthrose der großen Gelenke
- Osteoporose und Folgeerkrankungen
- Schwerwiegende Erkrankungen der Blutbildung und Blutgerinnung
- Agranulozytose, septische Granulomatose, andere näher bezeichnete Erkrankungen der weissen Blutkörperchen
- Disseminierte intravasale Gerinnung und sonstige Koagulopathien
- Purpura / Thrombozytenfunktionsstörungen / Blutungsneigung
- Delir und Enzephalopathie
- Demenz
- Schwerwiegender Alkohol- und Drogen-Missbrauch
- Psychotische Störungen und Persönlichkeitsstörungen
- Depression
- Bipolare affektive Störungen
- Anorexia nervosa und Bulimia nervosa
- Aufmerksamkeitsstörung / attention deficit disorder / andere hyperkinetische Störungen
- Ausgeprägte schwere Lähmungen
- Erkrankungen/Verletzungen des Rückenmarks
- Muskeldystrophie
- Periphere Neuropathie / Myopathe
- Entzündlich / toxische Neuropathie
- Multiple Sklerose
- Morbus Parkinson und andere Basalganglienerkrankungen
- Epilepsie
- Koma, Hirnödem, hypoxischer Hirnschaden
- Sekundärer Parkinsonismus und andere extrapyramidale Bewegungsstörungen
- Herzinsuffizienz
- Akutes Lungenödem und respiratorische Insuffizienz
- Hypertensive Herz- / Nierenerkrankung / Enzephalopathie
- Ischämische Herzkrankheit
- Erkrankungen der Herzklappen
- Angeborene schwere Herzfehler
- Hypertonie
- Vorhofarrhythmie
- Ventrikuläre Tachykardie
- Schlaganfall und Komplikationen
- Atherosklerose, periphere Gefäßerkrankung
- Arterielles Aneurysma (exkl. d. Aorta)
- Mukoviszidose
- Emphysem / Chronische obstruktive Bronchitis
- Asthma bronchiale
- Postinflammatorische und interstitielle Lungenfibrose
- Pneumonie
- Niereninsuffizienz
- Nephritis
- Neurogene Blase
- Bestehende Schwangerschaft (einschl. Komplikationen)
- Hautulkus, exkl. Dekubitalulzera
- Schwerwiegende bakterielle Hautinfektionen
- Wirbelkörperfraktur (ohne Schädigung des Rückenmarks)
- Luxation des Hüftgelenks
- Traumatische Amputation einer Extremität
- Schwerwiegende Komplikationen bei Patienten während chirurgischer oder medizinischer Behandlung
- Blutung / Hämatom / Serom als Komplikation nach einem Eingriff
- Status nach Organtransplantation (inkl. Komplikationen)
Weitere Informationen:
Festlegung der im morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich zu berücksichtigenden Krankheiten durch das Bundesversicherungsamt. Mitteilung des Bundesversicherungsamts zur Entscheidung über den Morbi-RSA.
Dokumentation der Berechnungsschritte. Mitteilung des Bundesversicherungsamts zur Entscheidung über den Morbi-RSA.
Berechnungsergebnisse. Mitteilung des Bundesversicherungsamts zur Entscheidung über den Morbi-RSA.
Auswahl der Krankheiten für den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich, Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesversicherungsamt
Die Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs ab dem Jahr 2009, Analyse von Prof. Dr. Jürgen Wasem für das Wissenschaftliche Institut der AOK
Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich, Hintergrundinformation zur Entwicklung des Risikostrukturausgleichs von Dr. Klaus Jacobs und Sabine Schulze für das Wissenschaftliche Institut der AOK
Der Risikostrukturausgleich auf dem Weg zur direkten Morbiditätsorientierung, Analyse von Dr. Dirk Göpffahrt für das Wissenschaftliche Institut der AOK